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Der gesperrte Himmel und was Schäuble umtreibt

Rede von Rechtsanwalt Otto Jäckel* auf der Kundgebung „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn“ am 12.9.2009 in Berlin

Vor drei Wochen am 19. 8.2009 ging der Air-France Flug 438 non-stop von Paris nach Mexiko - City. Eine Stunde nach dem Start erhält Air France die Mitteilung der US Luftfahrtbehörde, dass AF 438 keine Überfluggenehmigung für US-amerikanisches Territorium erhält. Der Pilot muss einen Umweg um Florida herum durch den Golf von Mexiko fliegen. Die Maschine hat 50 Minuten Verspätung und erheblich mehr Kerosin in die Luft geblasen als geplant. Was war passiert? An Bord war der Belgische Jurist und Globalisierungskritiker Paul-Emile Dupret, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraktion der Linken im Europaparlament. Ohne dass er etwas von seinem Glück wusste, war er auf die No-Fly Liste der US - Regierung geraten. Das bedeutet für ihn: in den USA als persona non grata, als unerwünscht abgestempelt, mit Einreiseverbot belegt, ja selbst mit Überflugverbot über das Territorium der USA in 10.000 Metern Höhe.

Wie kommen die Amerikaner an die Daten? Wir hören, dass die EU im Juli 2007 mit den USA einen Vertrag geschlossen hat über den Austausch von Flugpassagierdaten. Damit sollte die seit dem 11. September 2001 bereits illegal praktizierte Regelung mit einer formalen Legitimation versehen werden.

Bisher wusste ich, dass es Bürger gibt, die Landesverrat begehen. Jetzt lerne ich, es gibt umgekehrt auch Regierungen, die begehen Bürgerverrat. Wie sonst soll man die Denunziation der eigenen Bürger gegenüber den Regierungen anderer Staaten ohne Rechtsgrundlage bezeichnen?

Wir fragen uns, was wird denn da eigentlich auf tausenderlei Art, durch Videoaufnahmen, Abhören, Erstellen von Bewegungsprofilen, Hacken und Pflanzen von Trojanern in Rechner alles über uns gesammelt? Wir sehen, dass z. B. diese Kundgebung von Beamten gefilmt wird. Was machen wir denn hier?

Wir üben zweierlei Grundrechte aus, das Grundrecht, sich friedlich unter freiem Himmel zu versammeln nach Artikel 8 GG und das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 GG.

Wieso kann das eigentlich Anlass für polizeiliche und geheimdienstliche Beobachtung und Registrierung sein? Die Grundrechte stehen mit Bedacht im Grundgesetz ganz vorne, um ihren Rang in der Verfassung hervorzuheben.

Wieso frage ich, werden die Grundrechte von Herrn Schäuble und seinen Innenministerkollegen in den Ländern dann geringer geschätzt als zum Beispiel das Wahlrecht?

Ich bin ein Fan von Kontrollüberlegungen. Stellen wir uns doch einmal einen Augenblick lang vor, wie es wäre, wenn bei Wahlen vor jedem Wahllokal und in jeder Wahlkabine Kameras aufgestellt würden – nur um auf Vorrat mal zu sammeln, wer wählen geht und wie er sich dabei entscheidet?

Sie werden einwenden, Wahlen sind doch geheim!

Richtig, aber ist die Teilnahme an dieser Kundgebung nicht genauso unsere Privatsache und hat sich der Schutz der Verfassung durch die Behörden nicht darauf zu beschränken, den freien und ungehinderten politischen Meinungsbildungsprozess durch Kundgebungen und Demonstrationen und in den Medien zu gewährleisten und jede Einmischung und Einschüchterung zu unterlassen? Ich meine Ja!

Einmischung und Einschüchterung sind allerdings an der Tagesordnung. Als Rechtsanwalt der Friedensbewegung konnte ich im April bei der Demonstration gegen den NATO-Gipfel dafür ein Paradebeispiel erleben. Auf der Europabrücke zwischen Straßburg und Kehl, auf der die europäische Friedensbewegung sich von der französischen und der deutschen Seite symbolisch vereinigen wollte, waren mehrere Hundertschaften Bundespolizei und Bereitschaftspolizei der Länder aufgezogen. Sie hatten Wasserwerfer dabei und riegelten die Brücke bis zur Mitte – der Staatsgrenze – ab. Von der französischen Seite kamen einige vermummte Gestalten und setzten unmittelbar vor den Augen der deutschen Polizei Autoreifen und Holz in Brand. Andere zündeten ein altes Zollhäuschen an. Weder die deutsche noch die französische Polizei schritt dagegen ein. Es hätte nur eines kurzen Strahls mit dem Wasserwerfer bedurft, um den Brand auf der Brücke zu löschen. Offenbar hatten die Beamten aber die Anweisung von der politischen Führung, die schwarzen Rauchwolken in den Himmel über Straßburg ziehen zu lassen für entsprechend eindrucksvolle Bilder in der Tagesschau.

Die Botschaft lautete: Bei einer Demonstration gegen die NATO gibt es Randalierer und Brandstifter. Von so etwas sollte man sich politisch distanzieren und persönlich fern halten. Von den über 30.000 friedlichen Demonstranten war kaum noch die Rede.

Man fragt sich, was treibt eigentlich einen Politiker wie Wolfgang Schäuble um, der sich tagein tagaus Gedanken darüber macht, wie sich der Staat noch mehr bewaffnen kann gegen die einem Generalverdacht unterstellten Bürger. Er selbst hat dazu einmal in einem Fernsehinterview gesagt: „Lesen Sie Depenheuer!“

Ich bin seinem Rat gefolgt. Otto Depenheuer ist Professor für Verwaltungsrecht in Köln und schreibt im Aprilheft 2009 der Zeitschrift der Konrad Adenauer Stiftung der CDU „ Die politische Meinung“ folgendes: „Wenn in einem Staat eine auf Hochglanz gebrachte Fassade des Rechtsstaats den politischen Herausforderungen immer weniger gerecht wird und sich ein immer breiterer Graben auftut zwischen den angeblichen Ansprüchen der Verfassung und den Notwendigkeiten politischer Selbstbehauptung wird es wirklich gefährlich.“ Denn, so Depenheuer, so könne eine „Rechtsstaatsblase“ entstehen, die, „wenn sie dereinst platzen sollte, nicht nur Überzeichnungen entsorgt, sondern das ganze kunstvoll errichtete Gebäude zum Einsturz bringen könnte“. Das, meint Depenheuer weiter, „gilt insbesondere für die künstliche Gegenüberstellung von Ausprägungen des Rechtsstaates und den Erfordernissen einer effektiven Sicherheitspolitik in Zeiten des internationalen Terrorismus:“

Wer so wie Depenheuer die „angeblichen Ansprüche der Verfassung“ und eine „Rechtsstaatsblase“ den Erfordernissen der Selbstbehauptung des Staates gegenüberstellt, dem fällt die Wahl nicht schwer. Die Grundrechte der Bürger und das Rechtsschutzsystem gegen staatliches Handeln haben gegenüber den staatlichen Sicherheitsinteressen zurückzustehen.

Wer wie Schäuble und Jung solches Zeug im Kopf hat, der hat dann auch keine Bedenken gegen den Einsatz der Bundeswehr mit Kriegswaffen im Inneren. Er hat auch keine Bedenken gegen den Abschuß einer entführten voll besetzten Passagiermaschine. Das präventive Handeln des Staates zur Abwehr einer vermeintlichen Gefahr geht für diese Leute vor dem Recht unbeteiligter Passagiere auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die entgegenstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz schert sie dabei nicht. Im Gegenteil: Depenheuer lobt in dem zitierten Artikel die Ankündigung Jungs, sich über das Urteil hinwegsetzen zu wollen und beschimpft die Richter des Bundesverfassungsgerichts. Er spricht von „der Feigheit der Rechtsinterpreten, die das Problem sehen, aber eigene Verantwortung nicht übernehmen wollen“.

Für die Depenheuers, Schäubles und Jungs wären die toten Passagiere nach einem Abschuß durch die Luftwaffe „Kollateralschäden“ wie die afghanischen Männer und Jugendlichen, die vorige Woche aus den umliegenden Dörfern herbeigelaufen kamen, um aus den im Kundusfluss steckengebliebenen Tanklastwagen Benzin abzuzapfen. Sie waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.

Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, das der Menschenwürde und dem Recht auf Leben in den Artikeln 1 und 2 oberste Priorität einräumt und unterstellt, dass sich jeder Bürger grundsätzlich legal verhält und er als unschuldig zu gelten hat, es sei denn, er wird rechtskräftig verurteilt - mit diesem Menschenbild haben die Vorstellungen Schäubles und Jungs wenig zu tun.

Leider ist zu befürchten, dass sich in der Wirtschaftskrise angesichts der Entleerung der öffentlichen Kassen in den gierigen Schlund der Banken die Tendenz zum Abbau von Sozialstaat und Rechtsstaat zugunsten des Aufbaus eines starken Repressionsstaats drastisch verschärfen wird.

Es sei denn es gelingt uns, die Schäubles zu stoppen und diese Tendenz umzukehren. Dazu müssen wir unsere eigenen Interessen in die eigenen Hände nehmen und uns selbst in Bewegung setzen!

No Fear!

*Otto Jäckel ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht in Wiesbaden und Vorsitzender der deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms ( IALANA ) sowie Treasurer im Board of Directors der Internationalen Dachorganisation der IALANA

12.09.2009.


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