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Der Koalitionsvertrag und die Atomwaffen

Wird die neue Bundesregierung den mit großer Mehrheit gefassten Beschluss des Deutschen Bundestages vom 26. März 2010:

„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich auch bei der Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzepts der NATO im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen.“
endlich umsetzen?
Diesen unmissverständlichen Auftrag des Parlaments an die Regierung, sich nachdrücklich für den Abzug der Waffen einzusetzen, haben die bisherigen Bundesregierungen seit 2010 bis heute nicht erfüllt. Stattdessen haben sie der Modernisierung der in Büchel stationierten US-amerikanischen Atombomben zugestimmt. Was haben wir also von der künftigen Bundesregierung zu erwarten?

Der Koalitionsvertrag 2018 enthält dazu unter XII 3 „Abrüstung und restriktive Rüstungsexportpolitik“ die folgenden Absätze:

„Rüstungskontrolle und Abrüstung bleiben prioritäre Ziele deutscher Sicherheits- und Außenpolitik. Wir wollen ein neues konventionelles und nukleares Wettrüsten auf unserem Kontinent vermeiden. Deutschland wird deshalb neue Initiativen für Rüstungskontrolle und Abrüstung ergreifen. Wir setzen uns entschlossen für die weltweite verifizierbare Abrüstung von allen Massenvernichtungswaffen ein.

Ziel unserer Politik ist eine nuklearwaffenfreie Welt. Wir unterstützen daher regionale Initiativen für Zonen, die frei von Massenvernichtungswaffen sind. Wir setzen auf die Einhaltung und einen stetigen und verantwortlichen Ausbau des Nichtverbreitungs- und Kontrollregimes. Im nuklearen Bereich setzen wir uns für die strikte Einhaltung des INF-Vertrages (Intermediate Range Nuclear Forces) ein. Eine vollständige Überprüfbarkeit ist essentiell. Ein russischer Vertragsbruch, für den es begründete Sorgen gibt, hätte erhebliche Auswirkungen, weil derartige Waffen jedes Ziel in Europa erreichen könnten.

Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.“

Es ist der falsche Weg, dass in dem am 12.3.2018 von CDU/CSU und SPD unterzeichneten Koalitionsvertrag erklärt wird, Deutschland werde „auch künftig einen angemessenen Beitrag zum Erhalt der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses ...leisten.“

Dieser Kurs setzt weiterhin auf Atomwaffen und die atomare Abschreckungsstrategie einschließlich des potentiellen Ersteinsatzes von Atomwaffen. Es ist steht damit zu erwarten, dass die neue Bundesregierung den Parlamentsauftrag vom 26.3.2010 weiterhin missachten wird. Das vage Versprechen neuer Initiativen für Abrüstung und der Unterstützung regionaler Initiativen im Koalitionsvertrag ersetzt nicht den vom Deutschen Bundestag verlangten Abzug der Atomwaffen. Die bisherige Position der Bundesregierungen, einem Abzug der in Deutschland stationierten Atomwaffen nur dann zu fordern, wenn dies im Rahmen einer allgemeinen atomaren Abrüstung geschieht, musste zwangsläufig zu einer politischen Eigen-Lähmung in dieser Frage führen. Denn die US-Regierungen haben erklärt, auf Atomwaffen nicht zu verzichten, solange irgendein Staat über diese verfügt. Diese Position hat die Bundesregierung offensichtlich übernommen.

Die kritiklose Übernahme US-amerikanischer Positionen kommt darin zum Ausdruck, dass im Koalitionsvertrag lediglich die russische Verletzung des INF-Vertrages hervorgehoben wird. Tatsache ist, dass sich Russland und die USA wechselseitig vorwerfen, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen, der bilateral die vollständige Abschaffung von atomaren Mittelstreckenraketen und deren Abschussvorrichtungen regelt und seit 1988 in Kraft ist. Russland kritisiert sowohl Teile des US-Raketenabwehrsystems in Tschechien und Polen, weil es atomare Tomahawk-Mittelstreckenraketen starten könne als auch die als bodengestützte Marschflugkörper bewerteten Angriffsdrohnen. Die US-Regierung wirft Russland den Test des bodengestützten Marschflugkörpers Iskander-KR500 vor sowie den Test und die Produktion von Mittelstreckenraketen, die von LKWs gestartet werden können.

Auch die Koalitionspartner der neuen Bundesregierung wissen, dass Sicherheit nicht einseitig erlangt werden kann und dass sich die Sicherheit der eigenen Nation nicht auf Kosten anderer Nationen erringen lässt. Sicherheit ist im atomaren Zeitalter nicht mehr vor dem potentiellen Gegner, sondern nur mit ihm gemeinsam zu erreichen. Auf die versprochenen „erfolgreichen Abrüstungsgespräche“ warten Millionen, ja Milliarden friedensbewegter Menschen in aller Welt bislang vergeblich. Die Atomwaffenmächte und ihre Verbündeten sind zu ernsthaften Verhandlungen mit dem Ziel der vollständigen atomaren Abrüstung völkerrechtlich verpflichtet, was der Internationale Gerichtshof ausdrücklich bekräftig hat (Art. VI Nichtverbreitungsvertrag und Völkergewohnheitsrecht).

Die angeblich schwierige Verifizierbarkeit einer atomaren Abrüstung wird vielfach als deren Haupthindernis dargestellt. Dieses Argument spricht aber weder gegen den im Bundestagsbeschluss vom 26.3.2010 geforderten vollständigen Abzug aller US-Nuklearwaffen aus Deutschland und aus anderen dann atomwaffenfreien Zonen noch gegen eine globale vollständige Abschaffung aller Atomwaffen unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle, wie es Art. VI des Atomwaffensperrvertrages seit Jahrzehnten völkerrechtlich verbindlich fordert. Der Entwurf einer – von den Nichtregierungsorganisationen der IALANA, INESAP und der VDW ausgearbeiteten – Nuklearwaffenkonvention mit konkreten Mechanismen für ein wirksames Verifikationsregime – liegt seit Jahren vor; 1997 reichte Costa Rica diesen Entwurf als offizielles UNO-Dokument A/C.1/52/7 ein; der UN-Generalsekretär hat dieses Dokument allen UN-Mitgliedsstaaten übersandt.

Die Beibehaltung der jetzigen nuklearen Abschreckungsstrategien mit Zehntausenden jederzeit einsatzfähigen Atomwaffen ist viel zu gefährlich, um sie weiter hinzunehmen; sie nimmt letztlich das Risiko eines Atomkrieges und die Tötung von Milliarden Menschen, ja die Vernichtung unseres Planeten Erde in Kauf, falls die atomaren Abschreckungsstrategien versagen. Die geltenden Nukleardoktrinen der USA und der NATO sowie der anderen Atomwaffenstaaten verlangen für den Konfliktfall immanent und denknotwendig rational kalkulierende Konfliktparteien, die auf einer hinreichend vollständigen Informationsbasis– auch in Hochspannungslagen – rationale Entscheidungen treffen; das ist eine kühne Hoffnung. Abschreckungsresistente, rationalen Argumenten schwer oder nicht zugängliche Politiker sind aber in solchen Krisensituationen eben so wenig auszuschließen wie die Existenz terroristischer Täter, die den eigenen Tod in Kauf nehmen und Atomwaffen einsetzen. Vor allem aber: Die Gefahren technischen Versagens atomarer Abschreckungssysteme lassen sich nicht ausschließen, im Gegenteil. Das bisherige Überleben der Menschheit in den vergangenen Jahrzehnten verdankt sich - wie es der frühere US-amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara nach seiner Amtszeit aufgrund eigener Sachkenntnis mehrfach formuliert hat - letztlich glücklichen Zufällen. Dies zeigen die mehr als 20 Fälle, in denen die Auslösung eines Atomkrieges zwischen den Supermächten nur durch Zufall oder großes Glück vermieden werden konnte (u.a. die hochkritischen Zwischenfälle am 9.11.1979 im Lage-Raum des US-Luftverteidigungskommandos, am 26.9.1983 in der Kommandozentrale im Raketenwarnsystem Serpuchow-15 bei Moskau sowie im November 1983 während des NATO-Manövers „Able Archer“).

Warum weigert sich die Bundesregierung bislang, über den vom UN-Generalsekretär allen Staaten zur Stellungnahme übersandten Entwurf einer Atomwaffenkonvention zu verhandeln oder diesen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen? Diese Atomwaffenkonvention sieht ein differenziertes Verifikationssystem vor! Und was hindert die Bundesregierung, den zur Unterschrift und zur Ratifikation bereitliegenden Atomwaffen-Verbotsvertragzu unterzeichnen, den in Sorge um die fortdauernde atomare Aufrüstung in der UN-Vertragsstaatenkonferenz 122 Staaten am 7. Juli 2017 in New York vereinbart haben?

Warum folgt sie nicht dem Beispiel von Papst Franziskus, der veranlasst und dafür gesorgt hat, dass der Vatikan-Staat den von der UN-Konferenz beschlossenen Atomwaffen-Verbotsvertrag bereits am 20.9.2017 ratifiziert hat?

Berlin, den 14. März 2018
Deutsche Sektion der IALANA


http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/62/650 Vgl. dazu u.a. Deiseroth, Lebenslügen der atomaren Abschreckung, in: Telepolis vom 6.8.2015, zugänglich unter: https://www.heise.de/tp/features/Lebensluegen-der-nuklearen-Abschreckung-3374720.html?seite=all http://www.ialana.de/files/pdf/arbeitsfelder/atomwaffen/atomare%20abruestung/Nuklearwaffen-Konvention-_deutsch.pdf sowie oben Fußnote 4 http://www.un.org/depts/german/conf/a-conf-229-17-8.pdf https://www.domradio.de/themen/vatikan/2017-11-10/papst-franziskus-kritisiert-besitz-von-atomwaffen http://www.icanw.org/status-of-the-treaty-on-the-prohibition-of-nuclear-weapons/?mc_cid=5fc42120f4&mc_eid=1d6dd63139

15.03.2018.


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