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Die 10. Verleihung des Whistleblower-Preises - Spotlights auf ein erfolgreiches Projekt

Die 10. Verleihung des Whistleblower-Preises - Spotlights auf ein erfolgreiches Projekt

Eröffnungsvortrag von Rechtsanwalt Otto Jäckel

Meine Damen und Herren,
König Tantalos, ein Sohn des Zeus, hatte es gewagt, den Menschen Geheimnisse der Götter zu verraten. Nach der griechischen Mythologie verurteilten sie ihn darauf zu ewigen Qualen im Reich des Hades. Er stand in einem See und über ihm hingen Früchte an den Bäumen. Wenn er sich aber hinunterbeugte, um zu trinken, wich das Wasser zurück und wenn er sich nach oben reckte, um eine Frucht zu pflücken, wehte der Wind die Äste außer Reichweite.

Tantalos-Qualen aller Art, Gewissensbisse, schlaflose Nächte, Stress durch Gerichtsverfahren, Verlust der beruflichen Existenz, soziale und berufliche Isolation, Haftstrafen und Flucht ins Exil, selbst Mordanschläge haben die von uns ausgezeichneten Whistleblower auf sich genommen. Sie alle verbindet eines: Sie sind ihrem Gewissen gefolgt und haben schwerste Missstände und kriminelle Handlungen von großer allgemeiner gesellschaftlicher Bedeutung, von denen wir sonst nie erfahren hätten, unter Inkaufnahme persönlicher Risiken an das Licht der Öffentlichkeit gebracht.

Statt des Verlustes ihres Arbeitsplatzes und gesellschaftlicher Ächtung oder gar dem Verschwinden in einer Gefängniszelle gebührt ihnen gesellschaftliche Anerkennung und öffentliche Ehrung. Diese Anerkennung und Ehrung symbolisch zum Ausdruck zu bringen ist der Sinn des von IALANA und VDW heute zum zehnten Mal vergebenen Whistleblower-Preises.

Meine Damen und Herren,
wir freuen uns besonders, dass einige der bisherigen Preisträger aus Anlass dieses fast zwanzigjährigen Jubiläums unserer Einladung folgen konnten und heute hier sind. Bitte begrüßen Sie mit mir ganz herzlich Frau Brigitte Heinisch und Frau Dr. Liv Bode, die Preisträgerinnen des Jahres 2007, Herrn Frank Wehrheim, Preisträger des Jahres 2009 und Herrn Dr. Rainer Moormann, Preisträger des Jahres 2011. Unser Gruß gilt auch Frau Dr. Margrit Herbst und Herrn Rudolf Schmenger, die der Einladung gerne gefolgt wären, aber leider aus gesundheitlichen Gründen an der Teilnahme gehindert sind. Unser besonderer Gruß gilt ebenso Edward Snowden in seinem Exil in Moskau, der so gerne hier bei uns wäre und Chelsea Manning in New York, die auf Grund eines Gnadenerweises, einer der letzten Amtshandlungen von Präsident Barack Obama vor seinem Ausscheiden aus dem Amt, seit Mai dieses Jahres auf freiem Fuß ist. Sechs Jahre, elf Monate und drei Wochen ihrer Haftstrafe von 35 Jahren hatte Chelsea Manning da schon in einem US-amerikanischen Militärgefängnis verbracht. Verurteilt worden war sie für die Veröffentlichung von Dokumenten aus den Kriegen im Irak und Afghanistan und tausender Botschaftsdepeschen mit Hilfe von WikiLeaks. Unter den Dokumenten befand sich auch das Video, das an Bord eines US-Kampfhubschraubers in Bagdad gedreht wurde und das zeigt, wie die Besatzung willkürlich Zivilisten erschießt und anschließend auch auf diejenigen das Feuer eröffnet, die den Verletzten zu Hilfe kommen und die Toten bergen wollen. Unter dem Titel „Collateral Murder“ wurde das Video berühmt und für dessen Veröffentlichung haben wir Chelsea Manning 2011 den Whistleblower-Preis verliehen.

Barack Obama hatte Whistleblower wie Manning und Snowden stets öffentlich verurteilt. Hätte er Manning begnadigt ohne die öffentliche Kampagne für seine Freilassung und ohne die Würdigungen von Manning wie durch den Whistleblower-Preis? Ich glaube, die Begnadigung von Chelsea Manning ist auch ein Erfolg unserer Solidarität.

Meine Damen und Herren,
einen noch weit überraschenderen Ausgang hatte schon das Verfahren gegen den ersten Träger des Whistleblower-Preises Alexander Nikitin aus Sankt Petersburg genommen. Weil er nach 10-monatiger Untersuchungshaft zwar auf freien Fuß gekommen, aber für die Dauer des gegen ihn geführten Strafverfahrens die Stadt nicht verlassen durfte, bin ich 1999 nach Sankt Petersburg geflogen, um als Prozessbeobachter an der Verhandlung vor dem Sankt Petersburger Stadtgericht teilzunehmen und ihm auf einer Pressekonferenz die Preisurkunde zu überreichen.

Welche Mühen bedeutete es zu dieser Zeit noch, der internationalen Presse die Bedeutung des Begriffs „Whistleblower“ zu erklären.

Nikitin war U-Boot Kapitän der russischen Nordmeerflotte und dann als Inspektor für Reaktorsicherheit für die auf den 250 U-Booten der Flotte betriebenen nuklearen Reaktorblöcke zuständig. Nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst hatte er eine Studie über Havarien in den Nuklearanlagen, über das Versenken ganzer havarierter U-Boote und von etwa 20.000 Containern mit radioaktivem Müll vor der Insel Nowaja Semlja veröffentlicht. Über 130 außer Dienst gestellte U-Boote rosteten dazu mit ihren Reaktorblöcken und den strahlenden Brennelementen an Bord im Hafen von Murmansk. Der strahlende Rost des kalten Krieges! Wegen Landesverrats und Spionage wurde Nikitin durch den Inlandsgeheimdienst FSB angeklagt und überraschend und in erfreulicher Weise in allen drei Instanzen, dem Stadtgericht St. Petersburg, dem Berufungsgericht in Moskau und dem Obersten Russischen Gerichtshof freigesprochen. Die Veröffentlichungen von Nikitin trugen dazu bei, dass 2003 zwischen Deutschland und Russland ein Vertrag über die finanzielle, technische und personelle Hilfe bei der Verschrottung und Entsorgung der russischen U-Boote und Reaktoren geschlossen wurde. 2014 war das Projekt erfolgreich abgeschlossen, die U-Boote zerlegt und die strahlenden Teile geschützt zwischengelagert. Das ist die Geschichte eines erfolgreichen Whistleblowing, aber auch die Geschichte einer erfolgreichen deutsch-russischen Zusammenarbeit, an der im Übrigen auch die weiteren G 8 Staaten beteiligt waren.

Meine Damen und Herren,

Umso erschreckender muss der jetzt betriebene Truppenaufmarsch der NATO unter Beteiligung deutscher Soldaten an der russischen Grenze erscheinen, der noch dazu mit der lächerlichen Lüge verbunden ist, es handele sich nicht um eine vertragswidrige dauerhafte Stationierung, denn die Mannschaften würden in einem Rotationssystem regelmäßig ausgewechselt. Ebenso lachhaft und scheinheilig ist die Begründung für die Stationierung neuer US-amerikanischer Raketen in Osteuropa, wenn behauptet wird, diese richteten sich nicht gegen Russland, sondern gegen den Iran.

Von einer neuen Bundesregierung mit sozialdemokratischer Beteiligung oder Duldung sollten wir eine entscheidende Kurskorrektur in der Außen- und Sicherheitspolitik verlangen. Moskau und St. Petersburg zählen zu den vier größten Städten in Europa. Sicherheit in Europa gibt es nur als gemeinsame Sicherheit mit Russland und nicht gegen Russland ebenso wie Sicherheit in Asien nur als gemeinsame Sicherheit mit Nordkorea und nicht gegen Nordkorea möglich ist.

Eine Kurskorrektur ist ebenso erforderlich – und ich möchte das an dieser Stelle einfügen, weil es zum Kerngeschäft der IALANA und zum Thema des heutigen Abends gehört - was das Verhalten der Deutschen Bundesregierung zu dem im Juli von 122 Staaten ausgehandelten Atomwaffenverbotsvertrag anbelangt. Es handelt sich wohl um den ersten multilateralen völkerrechtlichen Vertrag, den zivilgesellschaftliche Organisationen, die Internationale Kampagne gegen Atomwaffen, initiiert und in den Verhandlungen mit den Vertretern der Staaten mitgestaltet haben. Diese neue gewachsene Bedeutung der Zivilgesellschaft hat das Nobel-Komitee zu recht mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis gewürdigt. Auf Initiative der IALANA wurde in den Vertrag unter anderem das Verbot schon der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen und die Feststellung der Unvereinbarkeit des Einsatzes oder dessen Androhung mit dem humanitären Völkerrecht aufgenommen. Nicht gefolgt sind die Staatenvertreter dem Vorschlag der IALANA, auch das Whistleblowing als Bestandteil eines Kontrollsystems aufzunehmen, wie wir dies als „societal verfication“ oder „inspection by the people“ seit langem für solche Verträge fordern.

Unerträglich ist für uns in diesem Zusammenhang, dass deutsche Christdemokraten und Sozialdemokraten einstimmig im Europaparlament für die Beteiligung aller Europäischen Staaten an der Verhandlung des Vertrages gestimmt haben, während die Bundesregierung anschließend diese Verhandlungen boykottiert hat und eine Unterschrift darunter verweigert. Daher von hier aus unser Appel an die Verhandlungsführer der SPD im Schloss Bellevue: Sagen Sie Frau Merkel: „Wenn Sie bei der Unterzeichnung und Ratifizierung dieses für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik grundlegenden und historischen Vertrages nicht mitziehen, dann werden wir für die Beschaffung einer Regierungsmehrheit nicht zur Verfügung stehen. Das ist unsere staatspolitische Verantwortung“.

Meine Damen und Herren,

im Unterschied zum Jahr 1999 weiß heute fast jeder, was das Wort Whistleblower bedeutet. In den Medien scheint sich ein Wandel zu vollziehen in der Bedeutung, mit der der Begriff aufgeladen wird. Der negativ besetzte Verrat tritt in den Hintergrund und die mit dem Whistleblowing verbundene Zivilcourage und deren Bedeutung für die Korrektur von Fehlentwicklungen und die Aufdeckung von Regelverletzungen gewinnt an Bedeutung. In Deutschland geschieht dies allerdings noch zögerlich und gegen mächtige Widerstände. Von den Widerständen können alle deutschen Whistleblower-Preisträger ein Lied singen. Die deutsche Justiz gibt ihnen regelmäßig Steine statt Brot.

Wenn man sich die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit in den Whistleblower-Fällen ansieht, kann man den Eindruck gewinnen, deutsche Unternehmen dürften zu Recht geführt werden wie Mafia-Clans nach dem Grundsatz der Omerta. Alles muss intern geregelt werden. Nach außen gilt das Gesetz des Stillschweigens. In deutschen Unternehmen gibt es zwar zunehmend Compliance-Richtlinien zur Kontrolle der Einhaltung von Regeln mit entsprechenden Verfahren für die Bearbeitung von Hinweisen durch Compliance Manager. Diese haben aber in erster Linie die Interessen der Unternehmen und der Anleger im Auge - nicht das öffentliche Wohl. Auf diese Weise dringen Regelverletzungen, von denen alle Beteiligten wissen, dass sie von Vorständen und Geschäftsführungen angeordnet oder zumindest abgesegnet sind, kaum an die Öffentlichkeit. Der Abgasskandal der deutschen Autobauer ist dafür ein beredtes Beispiel.

Ein ebenso stumpfes Schwert ist die Tätigkeit der Aufsichtsbehörden, soweit diese sich regelmäßig darauf beschränken, Kontrollbesuche durchzuführen, die vorher angekündigt sind. Das gilt in gleicher Weise für die Apothekenaufsicht.

Das Whistleblowing bleibt daher ein dringend gebotenes Korrektiv. Wagt aber ein Insider den Weg an Staatsanwaltschaften oder gar direkt an die Öffentlichkeit, befindet er sich in einer rechtlichen Grauzone, in der gerichtliche Entscheidungen zu seinen Gunsten kaum vorhersehbar sind.

Diese leidvolle Erfahrung musste die Tierärztin Dr. Margrit Herbst machen, die im Schlachthof von Bad Bramstedt in der Zeit der BSE-Seuche wiederholt Symptome von BSE feststellte, mit ihren Bedenken im Betrieb jedoch nicht gehört wurde. Ihr Gang in die Öffentlichkeit in einer Sendung von Günther Jauch brachte ihr die fristlose Kündigung ein – zu Recht nach Meinung des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts. Sie bekam danach nie wieder eine Anstellung und lebt heute von einer schmalen Rente.

Ebenso erging es Brigitte Heinisch nach ihren Enthüllungen der schlimmen Zustände in der Altenpflege in Berlin. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte ihr, dass die gegen sie ausgesprochene fristlose Kündigung und die danach ergangenen negativen Entscheidungen des Arbeitsgerichts Berlin, des Landesarbeitsgerichts Berlin Brandenburg, des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts eine Verletzung ihres Menschenrechts auf freie Meinungsäußerung darstellten.

Die Entscheidung des EGMR scheint von den Richtern des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen in den Fällen von Herrn Porwoll und Frau Klein zwar gelesen, aber nicht zur Kenntnis genommen worden zu sein – sonst hätten sie jedenfalls Frau Klein nicht vorschlagen können, es sei für sie besser, gegen eine Abfindungszahlung von 1.500,-- EUR aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden.

Meine Damen und Herren, die unerträgliche Rechtsunsicherheit und die Risiken für Whistleblower müssen endlich durch eine klare gesetzliche Schutzregelung ausgeräumt werden. So steht es auch etwa im Wahlprogramm der SPD. Bisher sind die entsprechenden Gesetzesinitiativen stets gescheitert. Wir hoffen, dass von dieser Whistleblower Preisverleihung heute ein neuer Impuls ausgeht, damit Whistleblower in Deutschland endlich den erforderlichen gesetzlichen Schutz erhalten. Es muss Schluss sein damit, dass die Boten schlechter Nachrichten bestraft werden. Illegales Verhalten darf kein schutzwürdiges Geschäftsgeheimnis sein. Wirtschaftliche Interessen sind nur dann schutzwürdig, wenn sie mit legalen Mitteln verfolgt werden. Die Omerta in deutschen Betrieben und Verwaltungen muss ein Ende haben! Whistleblower erfüllen eine wichtige Schutzfunktion in unserer Gesellschaft. Deshalb gebührt ihnen gesellschaftliche Anerkennung. Als unseren Beitrag hierzu verleihen wir heute zum 10. Mal den Whistleblower-Preis! Meine Damen und Herren,

der Whistleblower-Preis 2017 geht an Maria-Elisabeth Klein, Martin Porwoll und Can Dündar!

Die 10. Verleihung des Whistleblower-Preises
Spotlights auf ein erfolgreiches Projekt
Eröffnungsvortrag von Rechtsanwalt Otto Jäckel
Vorsitzender von IALANA Deutschland
Kassel, den 01. Dezember 2017

www.jaeckel-rechtsanwalt.de

01.12.2017.


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