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Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Parlamentsbeteiligungsgesetz

Verfassungsrechtliche Schranken für eine Revision der Parlamentsbeteiligung Otto Jäckel · Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht · Vorsitzender von IALANA Deutschland
Berlin, 18.05.2015
www.jaeckel-rechtsanwaelte.de | www.ialana.de

1. Problemstellung

Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD vereinbart, das Parlamentsbeteiligungsgesetz einer Revision zu unterziehen: „Wir wollen die Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten auch angesichts vermehrter Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit unseren Partnern sicherstellen. Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein.“ Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines entsprechenden Gesetzesvorschlags zur Novellierung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes in der hierzu eingesetzten Rühe-Kommission ist zunächst eine Analyse der in Rede stehenden Integrationsprozesse Deutschlands in Strukturen der NATO sowie in die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Im Ergebnis der Anhörung entsprechender Sachverständiger wurden für den sich vertiefenden Integrationsprozess im Wesentlichen folgende Punkte genannt.



Für den Bereich der NATO:

  • Integration in die ständigen Stäbe der NATO
  • Integration in die künftig verlegefähigen operativen Hauptquartiere der NATO in Brunssum, Neapel und Ulm
  • Strategische Aufklärung durch AWACS
  • Aufklärung durch das zu installierende drohnengestützte System Alliance Ground Surveillance (AGS)
  • NATO Response Force
  • Deutsch-Französische Brigade
  • Deutsch-Niederländische Brigade
  • Smart Defense Projekte
  • Rahmennationen-Konzept
  • Beteiligung an Ausbildungs- und Beratungsmissionen
Für den Bereich der EU:
  • EU Battle Groups
  • Europäisches Lufttransportkommando (EATC)
  • Pooling
  • Sharing

In der Kommission wurde teilweise die These vertreten, das Vertrauen in einen verlässlichen Beitrag Deutschlands zu diesen integrierten und arbeitsteiligen Projekten sei in Frage gestellt. Als Anlass für die Zweifel an der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit des deutschen Beitrags wird auf den zweimaligen Rückzug Deutschlands aus AWACS-Einsätzen und die Nichtbeteiligung Deutschlands an dem Krieg gegen Libyen verwiesen. Offen bleibt dabei, inwiefern sich aus den genannten Beispielen ein Novellierungsbedarf bezüglich des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ableiten lassen soll, denn der Deutsche Bundestag hat seit Statuierung des Parlamentsvorbehalts durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.07.1994 und das Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes am 24.03.2005 in keinem einzigen Fall einen Antrag der Bundesregierung auf Genehmigung eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr verweigert oder etwa beschlossen, die Bundeswehr aus einem solchen Einsatz zurückzuholen.
Die in der Kommission geäußerten Positionen zu einem Reformbedarf reichen von dem Vorschlag, die Entscheidung über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr durch Vorratsbeschlüsse des Bundestages im Einzelfall der Regierung zu übertragen und dem Bundestag lediglich ein Rückholrecht einzuräumen bis dahin, es bestehe überhaupt kein Bedarf zu einer Änderung. Wie sich einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 09.05.2015 entnehmen lässt, soll sich die Kommission inzwischen auf einen Vorschlag geeinigt haben, der darauf hinausläuft, dass der Bundestag künftig besser über Einsätze des geheim operierenden Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr informiert werden soll. Die von Teilen der Union geforderte Bereitstellung von Einheiten der Bundeswehr durch Vorratsbeschlüsse mit Rückholvorbehalt habe sich nicht durchgesetzt. Allerdings solle in das Gesetz aufgenommen werden, dass etwa Ausbildungsmissionen auch ohne vorherigen Beschluss des Bundestages als genehmigt gelten, wenn Waffen nur zur Selbstverteidigung oder für die Ausbildung mitgeführt würden. Weiterhin soll zukünftig eine Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich sein, wenn deutsche Soldaten in internationalen Hauptquartieren oder Stäben eingesetzt seien, sich dabei aber nicht in einem Kriegsgebiet befänden oder Waffen bedienten. Da der konkrete Gesetzesvorschlag der Kommission jedoch noch nicht in seinem genauen Wortlaut vorliegt, können nachfolgend lediglich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abzuleitende Hinweise gegeben werden, aus denen sich Schlussfolgerungen betreffend die Verfassungsmäßigkeit oder –widrigkeit möglicher Änderungsvorschläge ziehen lassen.

2. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem „out of area /AWACS“ – Urteil vom 12.07.1994 zum Parlamentsvorbehalt und die Regeln des Parlamentsbeteiligungsgesetzes

Die out of area – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.07.1994 enthält 3 Elemente. Zum einen wird darin der globale Einsatzbereich der NATO im Unterschied zu seinem ursprünglichen Vertragszweck (Verteidigung im nordatlantischen Bereich) auch ohne Zustimmungsgesetz des deutschen Bundestages für rechtmäßig erklärt. Eine Debatte im Deutschen Bundestag und ein Meinungs- und Willensbildungsprozess in der deutschen Öffentlichkeit über diese wesentliche Änderung des Einsatzbereichs der NATO wurde damit verhindert. Zum zweiten erklärte das Bundesverfassungsgericht die NATO zu einem „System kollektiver Sicherheit“ vergleichbar mit der UNO. Dies entsprach dem Wunsch der Bundesregierung und geschah entgegen den eigenen Verlautbarungen der NATO, die sich selbst stets als Verteidigungsbündnis verstanden hatte, was auch der nahezu einhelligen Auffassung hierzu im völkerrechtlichen Schrifttum entsprach. Damit wurde die NATO aus der Legitimationskrise geführt, in die sie nach dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung des Warschauer Vertragsbündnisses als verbliebenes Verteidigungsbündnis geraten war. Die Qualifizierung der NATO als System kollektiver Sicherheit ist eklatant unzutreffend – schon weil sie die Aufnahme von Staaten, die mit ihr in einem Interessenwiderspruch stehen, ablehnt. Dies kann an dieser Stelle jedoch nicht weiter vertieft werden.

Als Kompensation – um für diese schwer verdauliche Kost gesellschaftspolitische Akzeptanz zu finden – kreierte das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsvorbehalt für bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Ausland. Da dieser Parlamentsvorbehalt sich nicht aus einer Vorschrift des Grundgesetzes ableiten ließ, begründete das Bundesverfassungsgericht dieses verfassungsrechtliche Gebot aus der historischen deutschen Rechtstradition. Das Verfassungsgericht stellte zunächst fest, dass das Parlament für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf einen NATO-Bündnispartner durch das Zustimmungsgesetz zum NATO-Beitritt zwar bereits grundsätzlich gebilligt habe, dass deutsche Streitkräfte beim Eintritt des Bündnisfalles zum Einsatz kommen. Auch in diesem Fall bedürfe es jedoch noch der –regelmäßig vorhergehenden- parlamentarischen Entscheidung über den konkreten Einsatz. Ebenso treffe dies zu für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Blauhelmeinsätze oder Einsätze mit Zwangsbefugnissen nach Kapitel VII der UN-Charta handele. Nicht der Zustimmung des Bundestages bedürfe die Verwendung von Personal der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland, sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen seien.
Bei Gefahr im Verzug sei die Bundesregierung berechtigt, den Einsatz von Streitkräften vorläufig zu beschließen und zu vollziehen. Die Bundesregierung müsse jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem Einsatz befassen. Die Streitkräfte seien zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlange. Einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte sei nach der Bedeutung des zu fassenden Beschlusses grundsätzlich aufgrund einer Erörterung im Plenum des Bundestages zu beschließen. Eine entsprechende Initiativbefugnis stehe dem Bundestag jedoch ebenso wenig zu wie eine Abänderung der Regierungsvorlage. Insofern gebe es nur Zustimmung oder Ablehnung. Jenseits dieser Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts ist es nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts Sache des Gesetzgebers, Form und Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung auszugestalten. Dabei kann es angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist. Mit dem Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland vom 24.03.2005, das bis heute unverändert fort gilt, hat der Gesetzgeber sich an den vorgenannten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts orientiert und diese umgesetzt. Nach §1 Abs. 2 des ParlBG bedarf der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundestages. Nach § 2 Abs. 1 liegt ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist. § 3 enthält die Anforderungen an den von der Regierung zu stellenden Antrag an das Parlament, insbesondere die damit verbundenen Informationspflichten. § 4 regelt das vereinfachte Zustimmungsverfahren, von dem erkennbar bislang noch nicht Gebrauch gemacht worden ist. § 5 normiert das Verfahren der nachträglichen Zustimmung bei Gefahr im Verzug, § 6 die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung, § 7 das Verfahren bei Verlängerung von Einsätzen und § 8 das Rückholrecht, von dem bislang ebenfalls noch kein Gebrauch gemacht wurde.

3. Die AWACS-Einsatz Entscheidung (Türkei) des Bundesverfassungsgerichts zur Definition der zustimmungspflichtigen „bewaffneten Unternehmung“

In dem Verfassungsrechtsstreit über die deutsche Beteiligung an AWACS Flügen über der Türkei während des Irak-Krieges hatte die Bundesregierung die Auffassung vertreten, eine „bewaffnete Unternehmung“ im Sinne des § 2 Abs. 1 ParlBG und damit das Erfordernis der Parlamentsbeteiligung liege erst vor, wenn deutsche Soldaten bewaffnete Gewalt tatsächlich anwenden. In seiner hierzu ergangenen Entscheidung vom 7.5.2008 – 2 BvE 1/03 – hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, bei einem derart engen Verständnis des Parlamentsvorbehalts könne der Deutsche Bundestag seinen rechtserheblichen Einfluss auf die Verwendung der Bundeswehr nicht hinreichend wahrnehmen. Seine Entscheidung bezöge sich dann nicht mehr auf den Zeitpunkt der Einsatzentscheidung, sondern regelmäßig auf einen der Entscheidung nachgelagerten Zeitpunkt, in dem der Streitkräfteeinsatz mit allen seinen damit verbundenen praktischen Handlungsnotwendigkeiten bereits begonnen hat. Überschritte erst die Anwendung militärischer Gewalt die Grenze der Zustimmungsbedürftigkeit, könnte von einer „regelmäßig vorhergehenden“ parlamentarischen Beteiligung nicht mehr gesprochen werden. (Rn. 75) .

Für den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt kommt es nach dem BVerfG somit nicht darauf an, ob sich bewaffnete Auseinandersetzungen im Sinne eines Kampfgeschehens bereits verwirklicht haben, sondern darauf, ob nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist. Die bloße Möglichkeit, dass es bei dem Einsatz zu bewaffneten Auseinandersetzungen komme, reiche nicht aus, vielmehr bedürfe es hinreichend greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden könne. Hierfür müsse aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete militärische Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweise. Für die Beurteilung komme es auf die besonderen Umstände des konkreten Einsatzes an. Ein Anhaltspunkt für die drohende Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen besteht, so das Gericht, wenn sie im Ausland Waffen mit sich führen und ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Was den AWACS-Einsatz anbelangt, erklärte das Gericht, wer im Rahmen einer bewaffneten Auseinandersetzung für den Waffeneinsatz bedeutsame Informationen liefert, eine die bewaffnete Operation unmittelbar leitende Aufklärung betreibt, ist in bewaffnete Unternehmungen einbezogen, ohne dass er selbst Waffen tragen muss. Der AWACS-Einsatz im Luftraum der Türkei wurde von dem Bundesverfassungsgericht dementsprechend als militärische Unternehmung beurteilt, die der vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages bedurft hätte.

4. Das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30.06.2009 zum Verhältnis zwischen generellen Beistandsklauseln in NATO- und EU-Vertrag zum einzelfallbezogenen wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt

In seinem Lissabon-Urteil vom 30.06.2009 befasste sich das Gericht auch mit den Implikationen, die sich aus der Beistandspflicht im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates ergeben. Danach schulden die anderen Mitgliedstaaten gemäß Art. 42 Abs. 2 EUV-Lissabon dem angegriffenen Staat alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung im Einklang mit Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen. Hierzu führt das Gericht unter Rn. 237 der Entscheidung aus, jede Einfügung in friedenserhaltende Systeme, in internationale oder supranationale Organisationen eröffne die Möglichkeit, dass sich die geschaffenen Einrichtungen, auch und gerade wenn deren Organe auftragsgemäß handeln, selbständig entwickeln und dabei eine Tendenz zu ihrer politischen Selbstverstärkung aufweisen. Hieraus folge, dass das Zustimmungsgesetz und die innerstaatliche Begleitgesetzgebung so beschaffen sein müssten, dass die europäische Integration weiter nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung erfolge, ohne dass für die Europäische Union die Möglichkeit bestehe, sich der Kompetenz-Kompetenz zu bemächtigen oder die Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten, hier des Grundgesetzes, zu verletzen. Die europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten dürfe nicht so verwirklicht werden, dass in den Mitgliedstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der Lebensverhältnisse mehr bleibe. Zu den wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung zählt das Bundesverfassungsgericht unter Rn 249 der Entscheidung insbesondere das militärische Gewaltmonopol. Unter Rn 255 führt das Gericht weiter aus, der konstitutive Parlamentsvorbehalt für den Auslandseinsatz der Bundeswehr sei integrationsfest. Damit sei von Verfassungswegen keine unübersteigbare Grenze für eine technische Integration eines europäischen Streitkräfteeinsatzes über gemeinsame Führungsstäbe, für die Bildung gemeinsamer Streitkräftedispositive oder für eine Abstimmung und Koordinierung gemeinsamer europäischer Rüstungsbeschaffungen gezogen. Nur die Entscheidung über den jeweiligen konkreten Einsatz – so das Gericht – hängt von der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages ab.
Zum Inhalt der unionsrechtlichen Beistandspflicht nach Art. 42 EUV-Lissabon führt das Gericht unter Rn 386 ff aus, diese gehe nicht über die Beistandspflicht nach Art. 5 des NATO-Vertrages hinaus. Diese umfasse nicht zwingend den Einsatz militärischer Mittel, sondern gewähre den NATO-Mitgliedstaaten einen Beurteilungsraum hinsichtlich des Inhalts des zu leistenden Beistands. Die Mitgliedstaaten haben dadurch die Möglichkeit, sich gegenüber der Beistandspflicht auf prinzipielle inhaltliche Vorbehalte zu berufen. Der Vertrag von Lissabon ermächtige den Rat zwar zu Beschlüssen über Missionen, „bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann“, Art. 43 Abs. 1 und Abs. 2 EUV-Lissabon. Die Formulierung „zivile und militärische Mittel“ könnte auch konkrete mitgliedstaatliche Streitkräftekontingente einschließen. Nach bisherigem Verständnis waren militärische Beiträge aber niemals rechtlich, sondern allenfalls politisch geschuldet.

4 Schlussfolgerungen

4.1. Es ist anzunehmen, dass das Bundesverfassungsgericht die in der AWACS/Türkei Entscheidung genannten Kriterien bezüglich des Eingreifens des Parlamentsvorbehalts bei Maßnahmen der strategischen Aufklärung – sei es durch AWACS-Flugzeuge oder das derzeit neu installierte Drohnen-gestützte Alliance-Ground-Surveillance-System – auch in zukünftigen Fällen anwenden wird.

4.2. Aus der Entscheidung ergibt sich zugleich, dass eine grundsätzlich nachgelagerte Entscheidung des Deutschen Bundestages, wie sie die Befürworter einer generellen Vorratsbeschlussregelung mit Rückholvorbehalt vertreten, nicht die Billigung des Verfassungsgerichts finden würde.

4.3. Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts besteht weder nach dem NATO-Vertrag noch nach dem EU-Vertrag eine generelle militärische Beistandsverpflichtung. Ob Deutschland überhaupt Beistand leistet und wenn ja, durch welche zivilen oder militärischen Mittel, bleibt einer zu treffenden Einzelfallentscheidung vorbehalten. Im Falle der Wahl militärischer Mittel bedarf es der vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz.

4.4. Humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen der Streitkräfte, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden, sind schon nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 S.2 ParlBG, der Entscheidung des BVerfG vom 12.7.1994 folgend, von dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen.

4.5. Jeder Einsatz deutscher Soldaten, sei es in ständigen Stäben der Bündnisorganisationen, in operativen Einsatzstäben, in integrierten kämpfenden Truppen wie der NATO Response Force, den Battle Groups der EU, in der Deutsch-Niederländischen oder der Deutsch-Französischen Brigade oder in selbständigen nationalen Einheiten der Bundeswehr unterliegt unabhängig von dem Erfordernis der im Einzelfall durchzuführenden Parlamentsbeteiligung der strikten Bindung an Deutsches Verfassungsrecht und damit dem Friedensgebot des Grundgesetzes . (folgend aus der Präambel …“dem Frieden in der Welt zu dienen“, dem Bekenntnis in Art. 1 Abs. 2 GG zum „Frieden und der Gerechtigkeit in der Welt“, dem Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs und dem Verbot aller Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören in Art. 26 Abs.1 S.1 GG, dem Verbot von Vereinigungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten in Art. 9 Abs. 2 GG, der Bindung an Recht und Gesetz in Art. 20 Abs. 3 GG und an die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in Art. 25 GG) sowie dem Gewaltverbot in Art 2 Ziff. 4 der UN-Charta und dem Gebot der friedlichen Streitbeilegung in Art. 2 Ziff. 3 der UN-Charta. . Hiervon gibt es nur zwei Ausnahmen. Zum einen eine Ermächtigung zu einem bewaffneten Einsatz durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta, wenn dieser zuvor gemäß Art. 39 UN-Charta eine Verletzung, Störung oder Bedrohung des Friedens festgestellt hat oder im Falle des Vorliegens einer Notwehr- oder Nothilfesituation gemäß Art. 51 der UN-Charta aufgrund eines vorangegangenen bewaffneten Angriffs. Jeder andere Einsatz, der sich nicht an diese verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben hält, würde eine Aggression darstellen, einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, wie dies das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 21.6.2005 – 2 WD 12/04 – für den Fall des im Jahr 2001 gegen den Irak begonnenen Krieges zu Recht erkannt hat.

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18.05.2015.


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