Hessische Landesregierung kann Silvia Gingold weiter durch Geheimdienst beobachten lassen
Verwaltungsgericht Kassel weist Klage der Tochter jüdischer Widerstandskämpfer auf Löschung der Verfassungsschutzakte ab
Am 5. Oktober hat das Verwaltungsgericht Kassel nun das Urteil zugestellt, das von der Kasseler Lehrerin und vielen ihrer Unterstützerinnen seit der mündlichen Verhandlung vom 19. September 2017 mit Spannung erwartet worden war (VG Kassel - 4 K 641/13.KS).
Die 4. Kammer unter ihrem Vorsitzenden Spillner wies die von Frau Gingold gestellten Anträge auf Löschung der über sie bei dem Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz geführten Akte und Einstellung ihrer geheimdienstlichen Beobachtung ab. Wie der Wiesbadener Fachanwalt für Verwaltungsrecht Otto Jäckel, der Frau Gingold vertritt, in einer ersten Bewertung des Urteils erklärte, ist das Gericht in allen Punkten der Position des Verfassungsschutzes gefolgt. Die Landesregierung hatte die bekannte Lehrerin, die zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn wegen ihrer politischen Betätigung zunächst aus dem Dienst entfernt, auf Grund großer internationaler Proteste sodann jedoch wieder eingestellt worden war, nach Beendigung ihrer völlig unbeanstandeten beruflichen Tätigkeit seit 2009 erneut geheimdienstlich beobachten lassen.
Anlass war etwa ein Vortrag von Frau Gingold zum Jahrestag des Beginns der Politik der Berufsverbote, den sie an der Seite des Thü-ringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow hielt und vor allem Lesungen aus den Erinnerungen ihres Vaters. Peter Gingold musste 1933 mit seiner jüdischen Familie aus Deutschland emigrieren und hatte sich in Frankreich der Résistance angeschlossen. Obwohl von der Französischen Regierung und dem Frankfurter Oberbürgermeister mit Orden für seine Verdienste im Kampf gegen den Faschismus ausgezeichnet, erlitt die Familie auch in der Nachkriegszeit bis heute politische Verfolgung.
Mit ihren Reden und Lesungen auf Einladung der Partei Die Linke und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes habe Silvia Gingold die Anziehungskraft dieser Organisationen ganz erheblich verstärkt, führten nun die Richter in Kassel in ihrer Entscheidung an. Das Gericht ziehe dabei in Betracht, dass „die Klägerin wegen der relativen Bekanntheit ihres Namens als Tochter eines Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus quasi als Magnet für Personen gewirkt hat, die den Zielen der Veranstalter bislang eher fern gestanden haben.“ „Entscheidend ist“, so das Gericht, „die objektive Gerichtetheit ihres Tuns; auf die subjektive Sicht der Klägerin kommt es nicht an. Insbesondere ist unerheblich, ob und wie sich die Klägerin mit den Zielen der Veranstalter identifiziert…“
Mit dieser Position hat das Gericht selbst den noch in den Berufsverboteverfahren der 70iger Jahre von den Gerichten verfolgten Grundsatz der Einzelfallprüfung verlassen, so Jäckel.
Das, was jemand denkt, sagt oder tut, soll nach Auffassung des Gerichts keine Rolle spielen. Es soll nur darauf ankommen, ob es einer von dem Verfassungsschutz als linksextrem ein-gestuften Organisation nützt. Den von Jäckel in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwand, sowohl die Partei Die Linke als auch die Vereinigung der Verfolgten des Nazire-gimes seien in den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes als auch des Landes Hessen gar nicht mehr als zu beobachtende Organisationen aufgeführt, tat das Gericht mit einem Hinweis auf eine Bemerkung des Vertreters des Landesamts für Verfassungsschutz ab. Dieser hatte erklärt, der Geheimdienst beobachte auch Organisationen, die im Verfas-sungsschutzbericht nicht aufgeführt seien. „Ich werde Frau Gingold empfehlen, die Zulas-sung der Berufung bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof gegen das Urteil zu bean-tragen“, so Jäckel abschließend.
Otto Jäckel
Rechtsanwalt
06.10.2017.
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